Rennen im Reich der Verwesung
Das Schönste für Michael Fröhlich ist es, nach Feierabend mit einem Glas Rosé über sein wundersames Grundstück zu schlendern und sich die großen und kleinen Geschichten noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Die große Geschichte ist schnell erzählt: Michael Fröhlich schenkte sich zu seinem 50. Geburtstag 50 Oldtimer aus aller Welt, allesamt aus seinem Geburtsjahr 1950, und parkte sie auf seinem zerklüfteten Privatgelände im Neandertal in Erkrath nahe Düsseldorf. Das war vor 17 Jahren. Danach tat Michael Fröhlich nichts mehr - außer nach Feierabend der allmählichen Verwitterung des Fuhrparks zuzusehen. Dazu gehören unter anderem: ein Porsche, ein Jaguar, ein Rolls-Royce, eine „Ente“, ein australischer Holden und zwei Goggo-Mobile. Autos, die in gutem Zustand heute viel Geld kosten. Doch was vor 17 Jahren noch halbwegs intakt zwischen Laubbäumen und Felsvorsprüngen stand, ist nun völlig verwitterter Schrott. Jedenfalls für diejenigen, die von Michael Fröhlichs Idee wenig halten. Für den Auto-Anarchisten, studierten Juristen, Künstler und Provokateur ist es natürlich weitaus mehr als Schrott. „Mittlerweile ist das ein richtiger Auto-Skulpturenpark“, sagt der jugendlich wirkende 67-Jährige mit dem schelmischen Grinsen: „Die Natur schafft aus diesem Menschenwerk eigene Kunstwerke.“ Es ist ein morbides Kunstprojekt, bei dem Verfall und Verwahrlosung von Anfang an die Regie übernommen haben. „Bei Schnee und Wind hat es auch was Apokalyptisches“, sagt Michael Fröhlich, der die Positionen seiner Skulpturen bewusst gewählt hat. Der stromlinienförmige Tatra 600 Tatraplan aus der Tschechoslowakei wirkt, als wäre er vor Urzeiten vor einen Baum gefahren und von seinen Besitzern fluchtartig verlassen worden. Laub hat sich auf die Windschutzscheibe gelegt, Moos und Rost haben das Blech grün-braun gefärbt, Käfer sich unter den Lack gefressen. Die hintere Tür steht einen spaltbreit offen – Einfallstor für Mäuse, Ratten und Vögel.
Ein paar Schritte weiter verrottet ein mächtiger Rolls-Royce Silver Wraith, der einst zum Fuhrpark des Buckingham-Palace gehörte. Michael Fröhlich hat in einem Anflug von Majestätsbeleidigung „Fuckingham Palace“ auf die Flanke der Luxus-Karosse geschrieben und hohe Mitglieder des Königshauses auf Höllenfahrt geschickt. Eine Elisabeth-II-Puppe sitzt breit grinsend am Steuer, neben sich eine zerborstene Fensterscheibe, auf dem Rücksitz hat ein nicht weniger amüsierter Prinz Charles Platz genommen. Andere Autos wirken wie von der Klippe gestürzt, wurden zur Hälfte in der Erde versenkt oder - wie das winzige Velorex-Dreirad - in einen großen Käfig gesperrt. Die Stadt Erkrath stufte all dies als illegalen Schrottplatz ein und wollte Fröhlich seine Spielzeuge wegnehmen - obwohl er alle Motorflüssigkeiten artig entfernte. Am Ende bekam der juristisch versierte Auto-Narr Recht: Ein Richter des Oberverwaltungsgerichts Münster entschied vor Ort, dass es sich nicht um einen Schrottplatz, sondern um eine Kunstinstallation handele. „Seitdem kommen immer mehr Leute, die hier Fotos machen wollen.“ Der Totengräber der Oldtimer-Szene wundert sich, wie schnell sich manche Autos zersetzen und wie gut sich andere halten. Der mächtige Rolls habe die 17 pflegefreien Jahre recht gut überstanden, während der IFA aus DDR-Produktion nur noch ein Schatten seiner selbst sei. Hier zeigten sich die enormen Qualitätsunterschiede früherer Jahrzehnte. Fröhlich will ohnehin zeigen, wie vielfältig der automobile Jahrgang 1950 war. Deshalb suchte er sich mühsam und kostspielig Autos aus allen Erdteilen zusammen, um sie feierlich der Natur zu übergeben. Seine untergehende Automobil-Welt hat nichts mit Abneigung gegenüber des Deutschen liebsten Kindes zu tun. Im Gegenteil: Sein Geld verdient der gebürtige Berliner mit dem Handel exotischer – und restaurierter - Oldtimer. „Ich liebe Autos, aber ich denke gleichzeitig, Autos müssen nicht immer schick und chromblitzend sein“, sagt Schnellsprecher Fröhlich.
Er wolle den „großen Zeigefinger“ auf die Vergänglichkeit von Menschenwerk richten. Und er will polarisieren. „Das Auto ist ja die heilige Kuh“, weshalb er eigentlich Gotteslästerung betreibe. Im Internet wird Fröhlich vor allem von Amerikanern beschimpft, die sein Oldtimer-Vernichtungs-Werk als Frevel bezeichnen. Fröhlich scheint solche Kritik nicht sonderlich zu beeindrucken. Er grinst nur schelmisch und ist ziemlich begeistert von seinem Projekt. Zu den vielen kleinen Geschichten über seinen Parkplatz der Vergänglichkeit gehört die von der Anschaffung des Citroens 11 CV, auch Gangster-Limousine genannt. Weil Fröhlich unbedingt einen Wagen aus seinem Geburtsjahr 1950 wollte, aber keinen anderen fand, bot er dem Besitzer schließlich übertriebene 5000 D-Mark an. Als der Deal endlich stand und Fröhlich das Auto abholen wollte, fand er nur noch einen Haufen Einzelteile vor. „Der Mann hat die ganze Karre zerlegt, weil er annahm, da sind Schmuck oder Geld drin versteckt, er dachte, bei dem Preis müsste etwas Besonderes an dem Auto sein.“ Nette Anekdoten bietet auch der orangefarbene Citroen 2 CV, in dem noch immer die Sekt-Flaschen liegen, die die 1000 Gäste vor 17 Jahren zu Ehren des gerade 50 Gewordenen leer tranken.
Auf einer nachgebauten Steilkurve wiederum lässt Fröhlich einen rostzerfressenen Porsche 356 einen vermoderten Jaguar XK 120 verfolgen. Mit Letzterem gewann Michael Fröhlich 1984 den Grand Prix auf dem Nürburgring in der GT-Klasse. Der Porsche gehörte seinem Dauer-Rivalen aus Holland. Nun wird das Rennen im Reich der Verwesung fortgesetzt.
Erschienen 2017 im „Kölner Stadt-Anzeiger“