MAN Kat

MAN Kat

Als der MAN Kat noch in Diensten der Bundeswehr stand, trug er ein Raketen-Kontrollsystem mit sich herum. Heute ist er ein harmloses, jedoch stattliches Wohnmobil mit Holz-Aufbau, steht aber ungenutzt vor Stefan Schmidts Firma auf der Wiese. Ursprünglich wollte Schmidt vor zehn Jahren für ein paar Jahre in seinem 13-Tonnen-Ungetüm zu einer Weltreise aufbrechen. Daraus wurde nichts, zu viel zu tun. Der Kat muss warten.
In Stephan Schmidts Welt dreht sich alles um schweres Gerät für schweres Gelände. Er und seine Mitarbeiter bauen Lkw zu Wohnmobilen um, die nicht unbedingt auf einem Campingplatz in der Eifel zu finden sind. Eher in der Sahara, auf Grönland oder im südamerikanischen Hochgebirge. Sie sind allradgetrieben, groß, teuer, wetterfest und ausnahmslos Sonderanfertigungen.
In der modernen Werkstatthalle an der Pauline-Christmann-Straße in Rath/Heumar werfen Schmidt und seine Mitarbeiter Stephan Jakobidess und Simon Veran an diesem Vormittag kritische Blicke auf eine Wasserwaage. Ein Staukasten muss am Heck eines österreichischen Steyr in die richtige Position gerückt werden, gleich neben einem Reifen von der Höhe eines Ferraris und dem Profil eines Treckers. Der rund 30 Jahre alte, aber durch und durch restaurierte Lkw ist 3, 65 Meter hoch, die Luftansaugung für den Motor sitzt auf dem Dach des Führerhauses. „Wenn der durch Sand fährt, ist das vorteilhaft“, sagt Schmidt. Und er wird oft durch Sand fahren.
In sechs bis acht Wochen soll der Steyr abholbereit sein. Der Innenausbau, den es so in keinem zweiten Wohnmobil gibt, ist schon fast fertig. Auch der Gas-Backofen sitzt schon an der richtigen Stelle. Der Kunde, ein Holländer, will mit dem Steyr zunächst nach Marokko fahren und dann mal weiter sehen.
Auch dieser Lkw war mal ein Militärfahrzeug, auch daraus hat Schmidt mit seinem siebenköpfigen Team von „Orangework“ ein Wohnmobil für  unwegsames Gelände gemacht.  Die Gefährte aus Rath/Heumar können viel. Allerdings schöpfen nicht alle Käufer komplett aus, was Allrad-Antrieb und Riesenreifen möglich machen. Die einen treiben ihr Wohnmobil durch Schlamm, Geröll und Hochgebirge. „Andere wollen nur die  Sicherheit haben, zur Not von der Wiese oder vom Strand wieder weg zu kommen“, so Schmidt.
Seine Kunden sind junge Familien mit noch nicht schulpflichtigen Kindern,  ältere Ehepaare, deren Kinder schon aus dem Haus sind oder Unternehmer mit Lust auf Abenteuer. Sie alle eint das Fernweh und die Abneigung gegenüber Pauschalreisen und Wohnmobile von der Stange. Sie alle steigen ein, um für längere Zeit auszusteigen. „Dahinter steht der Wunsch nach individuellem Reisen ohne Grenzen“, sagt Schmidt. Danach sehen sich offenbar immer mehr Menschen. „Die Branche boomt“, so der Firmengründer.
In seiner Halle sind gerade drei Allrad-Wohnmobile in Arbeit. Neben dem fast fertig ausgebauten Steyr stehen ein ebenso großer MAN TGM 18/340 und ein kleinerer Bremach aus italienischer Produktion. Bei „Orangework“ entstehen die kompletten Aufbauten samt Inneneinrichtungen. Was dort hereinkommt, richtet sich ganz nach den Bedürfnissen der Kundschaft. Die Käufer des Bremach, ein Ehepaar aus Dresden,  haben ein Bett geordert, das sich automatisch unter die Decke fahren lässt. Umständliche Umbauten tagsüber fallen so weg. Solche Ideen passen gut zur Firmenphilosophie: „Unser Ziel ist, den kleinen Raum  eines Wohnmobils perfekt auszunutzen“, sagt Stephan Schmidt.
Das Lkw-Fahrgestell bringen die Kunden selbst mit oder beauftragen Schmidt mit dem Kauf. Der Rest ist Handarbeit.  Die Wände für die Koffer genannten Wohn-Aufbauten sind  sechs Zentimeter dick und bestehen aus GFK – glasfaserverstärktem Kunststoff. In der Mitte haben sie einen Kern aus Dämmschaum. Eine gute Isolierung ist wichtig, denn Allrad-Wohnmobil-Eigentümer bewegen sich gerne in Gefilden mit extremer Kälte oder Hitze. „Sie wollen die Welt umreisen“, sagt Schmidt: „Ihren Komfort wollen sie aber beibehalten.“  Einen 18-Tonner haben die Spezialisten aus Rath/Heumar einst mit  Spülmaschine, Klimaanlage, Fußboden-Heizung und Möbel in  Hochglanz-Weiß ausgestattet. Der Spaß kostete insgesamt 600 000 Euro – der teuerste Auftrag bisher. Es geht natürlich auch günstiger. Aber ein Fahrgestell mit Kofferaufbau íst unter 220 000 Euro nicht zu haben. Es gibt deshalb Kunden, die ihr Eigenheim verkaufen und für immer in das fahrbare Zuhause umziehen. Neben Geld kann auch Geduld nicht schaden: Rund ein Jahr dauert es im Schnitt, bis ein fertiges Wohnmobil die Halle verlässt.
Wie sich das Leben in  so einem Gefährt anfühlt, weiß Stephan Schmidt nur zu gut. Sieben Jahre lang lebte er auf 8,7 Quadratmetern in einem umgebauten Magirus Deutz 125 D von 1964. Der  Trumm stand an der Mülheimer Hafenstraße, wo Schmidt auf altem Industrieareal eine Schreinerei betrieb. Zunächst konzentrierte sich der gebürtige Sauerländer auf Möbel- und Ladenbau und fuhr mit dem Magirus durch die Gegend, um Bühnen und Ähnliches für Unternehmens-Veranstaltungen zu bauen. Vor zwölf Jahren dann kam der Kunde eines Zulieferers auf ihn zu. Schmidt sollte seinen Transporter zum Wohnmobil umbauen. „Seitdem hat es nicht mehr aufgehört“, sagt der 42-Jährige.
Der vierfache Familienvater arbeitet in einer Branche, die ihn schon seit seiner Kindheit fasziniert, als er mit seinen Eltern im Wohnmobil Urlaub machte. Sein erstes „Auto“ war kein Golf GTI, wie ihn seine Freunde fuhren, sondern ein sieben Tonnen schweres Hanomag-Wohnmobil, mit dem er auf Rockkonzerte fuhr. „Es ist einfach cool, rechts ranfahren zu können und da zu wohnen, das ist ein Gefühl von Freiheit“, sagt Schmidt.
Von seinen Kunden bekommt er immer wieder Fotos von unterwegs zugeschickt. Oft melden sie sich auch, wenn es ein technisches Problem gibt. Wie etwa der  Wohnmobil-Besitzer, dessen Dieselgenerator nicht mehr rund lief. Das Gerät konnte aber gar nicht funktionieren: „Der Kunde befand sich in Peru auf 5000 Metern Höhe, da war einfach zu wenig Sauerstoff.“
Manchmal ist Stephan Schmidt neidisch auf die Reisen seiner Kunden. „Aber sobald die Kinder aus dem Haus sind und es in der Firma geht, baue ich den nächsten Lkw um und wir sind weg.“ Der  alte MAN Kat auf der Wiese wird wohl weiter warten müssen.  35 Liter gönnt sich der Riese auf 100 Kilometer. Etwas sparsamer will Stephan Schmidt  künftig dann doch reisen. Und einen Holzofen muss das Wohnmobil seiner Träume haben: „Das finde ich total gemütlich.“

Erschienen 2017 im „Kölner Stadt-Anzeiger“